Der Kreml-Chef hat offenbar völlig seinen Sinn für die Realität verloren. Selbst absolut Putin-treue Russen wundern sich über einen TV-Auftritt, bei dem der russische Präsident die Fakten zerredet als gebe es kein Morgen.
Dabei ging es nicht um Nazis, Kiew oder die NATO, nicht einmal direkt um den Krieg, sondern um politische Probleme, die eigentlich sachlich betrachtet werden können. Neben einer Reihe von vielen Problemen leidet die russische Wirtschaft darunter, dass Baumaterialien nur noch über Umwege ins Land kommen.
Putin says 'Thank God' some foreign companies have left Russia https://t.co/uVh9aRp3o6 pic.twitter.com/BK3Zt8fcL8
— Reuters (@Reuters) May 26, 2022
„Die Sanktionen, die gegen die Russische Föderation verhängt wurden, haben praktisch die gesamte Logistik in unserem Land zerstört. Und wir sind gezwungen, nach neuen Logistikkorridoren zu suchen“, erklärte russische Verkehrsministers Witali Saweljew vor wenigen Tagen und kündigte an, wie man damit umgehen wolle.
Fast zeitgleich äußerte sich Putin mit einer bizarren Erklärung, warum denn am strategisch wichtigen Standort Kaliningrad die Bauproduktion komplett zusammengebrochen ist. Dazu muss man wissen: Kaliningrad ist nur über die Ostsee mit dem Rest von Russland verbunden. Auf dem Landweg muss man Litauen oder Polen durchfahren, um den Standort zu erreichen, der für das russische Militär von zentraler Bedeutung ist. Doch genau das gestaltet sich schwierig, seit Russland von Europa sanktioniert wird.
KALININGRAD: Russian exclave sandwiched between Poland and Lithuania.
— Tumul Dubey (@tumuldubey) May 20, 2022
Reading maps since school but never knew about this Russian region. pic.twitter.com/a8HQ9Ppx16
Anton Alichanow, der Gouverneur der Region, wies in einer TV-Übertragung nun darauf hin, dass im Zusammenhang mit der „Militärischen Spezialoperation“ die Baubranche in Kaliningrad ins Stocken geraten sei. „Was hat das damit zu tun?“ raunzte Putin den jungen Gouverneur an. Es gebe keinen Zusammenhang zur „Spezialoperation im Donbass“. Als Alichanow zu einer Erklärung ansetzte, unterbrach der Präsident ihn: „Nicht nötig, ich weiß alles. Der Hinweis war ehrlich gesagt überhaupt nicht relevant“, wies er den Gouvaneur zurecht. Natürlich gebe es zusätzliche Schwierigkeiten, „aber ich hatte bereits früher gesagt, dass es im letzten Jahr schon einen Rückgang in der Baubranche um 48,9 Prozent gab“, so Putin.
Eines steht fest. Probleme löst man mit einer solchen Realitätsverweigerung nicht.
The governor of the #Kaliningrad region complained about the economic decline in the region because of the war in #Ukraine. #Putin replied that the "special operation in the #Donbas" (not "special operation in Ukraine", as he usually says) has nothing to do with that. pic.twitter.com/PF6wHBekuB
— NEXTA (@nexta_tv) May 21, 2022
US-Geheimdienste sind davon überzeugt, dass Putin immer mehr in seinem eigenen Kosmos lebt und selbst seinen engsten Beratern nicht mehr vertraut. Das ist auch für Russen gefährlich. Denn Putin mischt sich in viele Entscheidungen ein, die für ihn schwer zu beurteilen sind. Es gibt Berichte über Fronten, an denen die Russen den Ukrainern in der Anzahl um das Sechsfache unterlegen sind. So etwas kann nur passieren, wenn die Entscheidungsträger sehr schlecht informiert sind.
Ich würde eher von Realitätsverlust bei uns was hören.